Der Wolf ist im Vogelsberg wieder sesshaft

Stellungnahme des NABU Kreisverbandes Vogelsberg

 

 

Seit der ersten Nachricht über einen Wolf im Vogelsberg gab es zahlreiche Wortmeldungen - und sogar schon Fernsehreportagen - in der Vogelsberger Presselandschaft. Diese waren oft emotional geprägt und wenig sachlich.

 

Es ist verständlich, dass die Rückkehr dieses großen Beutegreifers nach über 150 Jahren Abwesenheit für Aufregung, Unsicherheit und sogar Ängste sorgen kann. Wir sind uns aber auch sicher, dass viele Menschen im Vogelsberg den Wolf mit Freude begrüßen. In der Hoffnung, diese extremen Gegensätze einander etwas annähern zu können, möchten wir mit einigen Sachinformationen einen Beitrag leisten.

In Mitteleuropa wurde der Wolf Mitte des 19. Jahrhundert ausgerottet. Laut Statusbericht 2019/20 der Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf (DBBW) leben derzeit bundesweit 128 Wolfsrudel, 35 Paare und 10 sesshafte Einzeltiere in Deutschland. In Hessen (Fläche: 21.115 km²) sind es zwei sesshafte Einzeltiere; die „Ulrichsteiner Wölfin“ (amtlich GW1166f) ist eines davon und sie scheint bisher allein zu sein.  Ein langfristiges Überleben der Wolfspopulation in Deutschland ist bei der derzeitigen Populationsgröße noch nicht sichergestellt.
 

Repräsentative Beutetieranalysen aus ganz Deutschland haben gezeigt, dass die Beute von Wolfsfamilien bei uns aus 51% Rehwild und 43% Rot- und Schwarzwild besteht; nur 1,6% stellen Nutztiere.
 

Die „Ulrichsteiner Wölfin“ hat bisher nachweislich nur ein neugeborenes Kalb eines Milchviehbetriebes gerissen. Vor allem hat die Wölfin aber wohl verletzte und kranke Wildtiere gejagt und so die Jagd bei der notwendigen Reduzierung des Wildbestandes unterstützt und dem Wald so bei der Regeneration geholfen und zur Gesunderhaltung des Wildbestandes beigetragen.

Das Streifgebiet (Wolfsrevier) der Wölfin erstreckt sich nicht nur auf Gebiete der Stadt Ulrichstein. Sichere genetische Spuren, Fotos und Sichtungen belegen, dass die Wölfin bis in die Wälder südlich der Stadt Romrod regelmäßig aktiv ist. Die sehr schöne Aufnahme von Manfred Klug zeigt das Tier im Wald in der Nähe von Feldatal-Schellnhausen. In diesem sehr großen Streifgebiet steht ausreichend Wildtiernahrung zur Verfügung.

Im vollen Sonnenlicht ertappt
Foto: Ulrich Krug

 Sind Nutztiere aber einfach zu erbeuten, weil z.B. eine Zäunung bei Schafen oder Ziegen unzureichend ist oder fehlt, können diese auch rasch als Nahrung angenommen werden. Die Erfahrungen der leichten Beute, ebenso aber auch die Erfahrung eines Stromschlages in Verbindung mit Nutztieren, werden wohl an die Nachkommen weitergegeben.

 

Es gilt also unbedingt zu erreichen, dass Nutztiere vom Wolf als schwer oder nicht erreichbare Nahrungsquelle, die mit Schmerzen verbunden ist, wahrgenommen wird. Die Weidetierhalter benötigen hier Beratung und auch angemessene finanzielle Unterstützung für effektive Zäunungen und Abwehrmaßnahmen gegen den Wolf. An dieser Stelle unterstützen wir ausdrücklich entsprechende Forderungen der Landwirte und Weidetierhalter.

 

Auch der NABU besitzt Flächen im Revier der Wölfin, die von einem Berufsschäfer mit seiner Herde gehütet werden. Diese extensive Form der Bewirtschaftung leistet einen wichtigen Beitrag für den Natur- und Artenschutz. Ihre Aufrechterhaltung ist daher in unserem ureigensten Interesse. Wir sind der Meinung, dass Schadensersatz für gerissene Nutztiere und die Kostenübernahme von Schutzmaßnahmen durch das Land Hessen, gewährleistet werden muss. Und zwar unbürokratisch, angemessen in der Höhe und für alle Bewirtschafter.

 

Die Nähe des Menschen und den Geruch des Menschen sollte der Wolf nicht in Verbindung bringen mit einer bequemen Nahrungsquelle. Fütterungen, die auch der Wolf nutzen könnte, sind zumindest in Siedlungsnähe unbedingt zu vermeiden.  Sollte die Ulrichsteiner Wölfin dennoch für die Nutztierhalter existenzgefährdende Schäden verursachen, gilt es zu bewerten, welche Schritte nach geltendem Recht zur Gefahrenabwendung ergriffen werden können und müssen (siehe: Empfehlungen zum Schutz von Weidetieren und Gehegewild vor dem Wolf BfN Skript 530)

 

Aufnahmen von Wildkameras und Privatpersonen zeigen, dass die Wölfin auch die Ortschaften als Streifgebiet nutzt. Die Wahrscheinlichkeit einem Wolf zu begegnen, besteht deshalb nicht nur auf Waldwegen. Wir müssen also wieder lernen, wie man sich gegenüber einem Wolf angemessen verhält. Dazu sind zahlreiche Informationen im Internet verfügbar (z.B.: Konzept zum Umgang mit Wölfen, die sich Menschen gegenüber auffällig   verhalten -Empfehlungen der DBBW (Dokumentations- und Beratungsstelle Wolf), BfN-Skript 502; bmu.de, Wolfbegegnungen in der Kulturlandschaft; elli-radinger.de, wissen Wolf: Verhalten bei einer Wolfsbegegnung; hessen.nabu.de, Einschätzung und Bewertung von Wolfsverhalten)

 

Bei Fragen zu ungewöhnlichen Wolfssichtungen, wie sie wohl im Bereich von Seibertenrod vorgekommen sind, sind wir gerne bereit, die eigentlich zuständigen Behörden bei der Beratung der Bevölkerung und insbesondere bei der Öffentlichkeitsarbeit zu unterstützen (Kontaktdaten für Wolfsfragen: Karl-Heinz Zobich, Tel. 06633 7732).

 

Seit 20 Jahren sind Wölfe wieder in Deutschland heimisch. Seitdem hat es noch keinen einzigen Übergriff auf Menschen gegeben. Von Haushunden, und das darf hier angemerkt sein, gehen jährlich 30000-50000 Übergriffe aus (Deutsches Ärzteblatt).   Sollte die Wölfin dem Menschen gegenüber aber aggressiv werden, muss die Gefahrenabwehr an erster Stelle stehen.

 

Der Wolf will es noch einmal mit uns versuchen. Zu den Rückkehrern Wildkatze, Luchs, Biber, Wanderfalke, Uhu hat sich nun auch der Wolf gesellt. Der NABU befürwortet eine Umwelt mit einer hohen Artenvielfalt, eine Umwelt, in der alle Arten der ehemals natürlichen Lebensgemeinschaft ihren Platz finden. Dazu zählt auch der Wolf. Es sollte eine schöne Nachricht sein, dass in den Vogelsberg ehemals durch unser Verhalten ausgestorbene Arten zurückkehren. Dabei müssen auch wir lernen, mit ihnen umzugehen. Aber diese Bereitschaft dem Wolf nach fast 200 Jahren eine Chance zu geben, die sollten wir haben.